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5.2 Bibliothekseinführungen

5.2.1 Übersicht

Bibliothekseinführungen werden von den Interessenten mit grossen Erwartungen besucht. Deshalb sollten sie sorgfältig geplant und durchgeführt werden. Teilnehmer zeigen schon durch ihre Anwesenheit Interesse und Motivation. Die Gelegenheit, Neukunden zu gewinnen, sollte sich die Bibliothek nicht entgehen lassen. Es besteht, wie aus der Nichtnutzerumfrage hervorgeht, ein klares Interesse. Einführungskurse für Computerbestellung und -suche sowie Schnuppertage werden als garantiert nutzungsauslösende Angebote von den befragten Nichtnutzern genannt.

Bibliothekseinführungen gehören zum festen Bestandteil der Aufgaben einer Bibliothek. Diese leisten sie in verschiedenen Rahmen und für unterschiedliche Personenkreise, sei dies in Kooperation mit Schulen als Klasseneinführungen oder Einführungen für Senioren aus einem Altersheim.

 

5.2.2 Vermitteln von Inhalten: Lernen

Einführungsangebote richten sich an Personen, die ein Interesse haben könnten oder auch nur die Bibliothek im Rahmen eines Schnupperangebotes kennen lernen wollen. Die Form der Bibliothekseinführung kann sehr frei gestaltet werden, sie sollte jedoch jedesmal im Hinblick auf den zu erwartenden Personenkreis geplant werden.

Bibliothekseinführungen gehören nicht in den engeren Aufgabenbereich der Bibliothekare, werden aber als umfassende Dienstleistung von ihnen erwartet. Mit der Vorstellung und der Einführung in die Welt der Bibliothek werden bei den Besuchern immer Lernprozesse angestossen und man muss sich vorgängig im Klaren darüber sein, welche Lernprozesse man anstrebt und wie dies geschehen soll.

Unter Lernen wird ein Vorgang verstanden, der bei genauerer Betrachtung sehr unterschiedliche Vorgänge zusammenfasst und dem verschiedenartige Lernmechanismen zugrunde liegen. In der Praxis lassen sie sich in der Regel nicht idealtypisch unterscheiden, trotzdem sind einige Lernformen bekannt.

So gibt es ein Lernen durch Imitation oder Beobachtung, das etwa auf Reisen in fremden Kulturen angewendet wird, um sich den Sitten anzupassen. Kinder beherrschen diese Lernform gut.

Das Lernen durch Einsicht ist eine anspruchsvolle Lernform und verlangt die Fähigkeit zu einsichtigem Verhalten. Hier wird der Verstand gefordert und eine Umsetzung erwartet. Diese Form eignet sich generell nicht für Erstbesucher einer Bibliothek. Die Fähigkeit, neue Eindrücke und Zusammenhänge aufzunehmen ist beschränkt, sodass es oft zufällig bleibt, was dem Besucher von der Einführung in der Erinnerung bleibt.

Zu bevorzugen ist ein Modelllernen über Bilder, und könnte etwa als exemplarisches Lernen bezeichnet werden. Sie ist für die Lehrperson eine anspruchsvolle Lernform, ist jedoch transparenter und wesentlich fruchtbarer als andere Lernformen und für viele Personen geeignet. Auch Kinder sind für diese Lernform zugänglich, sofern man ihnen geeignete Modelle anbietet.

Eltern erklären ihren Kindern die Welt. Bei genauem Hinsehen ist dieses Erklären regelmässig ein anderes als dasjenige bei Erwachsenen. Einem Kind z.B., das mit dem Schuleintritt lernen muss, am Fussgängerstreifen selbständig und regelmässig zu warten, wird man nicht abverlangen, ausschliesslich ein einsichtiges Verhalten zu zeigen. Geschickter und kindgerechter ist es, wenn man von den Bildern und Bezügen ausgeht, die das Kind kennt. Diese muss man sich sagen lassen. Nun gilt es­um bei diesem Beispiel zu bleiben­, von den erhaltenen Antworten ausgehend, diese mit dem Fussgängerstreifen zu verbinden. Dazu bedient man sich der Eigenheiten und Fähigkeiten des kindlichen Denkens, etwa phantastischen Vorstellungen. Es darf kindgerecht geschummelt werden, ist jedoch alles andere als willkürlich, denn die Zusammenhänge wurden sozusagen mit dem Kind erarbeitet und es kann sie selbständig nachvollziehen.

Als Methode wird diese Lernform im Rahmen der Lehrerausbildung an der Pädagogischen Hochschule Zürich vermittelt. Es kann als Expertenwissen bezeichnet werden, das in Zusammenarbeit mit verschiedenen Personen in der Praxis entstanden ist und als solches während der Ausbildung vermittelt wird.

 

5.2.3 Bibliothekseinführungen für Schulkinder

Schulkinder sind generell ein dankbares Publikum, sie sind neugierig, motivierbar und freuen sich natürlich über die Exkursion in die Bibliothek.

Für den Bibliothekaren sind sie potenzielle Kunden und er wird die Einführung möglichst so gestalten, dass die Kinder zu Bibliotheksbesuchern werden. Deshalb soll die Einführung nicht improvisiert sondern der Ablauf genau geplant werden. Er muss sich überlegen, was er vermitteln will und wie der Weg dahin aussehen soll.

Bei Kindern kann man sich als Ziel etwa die Gleichsetzung von Bibliothek und Buchausleihe vorstellen oder die Besonderheiten des Buchlesens herausarbeiten. Es wird nur ein Ziel formuliert, um das sich andere Einsichten gruppieren können. Sie dienen alle letztlich dem Lernziel und werden in dieses eingebunden. Hier soll die Gleichsetzung von Bibliothek und Ausleihe angeschaut werden.

Die Einführung richtet sich an die Kinder, die die Bibliothek noch nicht kennen, etwa ausländische Kinder. Deshalb beginnt der Einstieg dort, wo man vermuten kann, dass alle etwas dazu wissen.

Eine Einführung beginnt mit einem Einstieg, sinnvollerweise mit einer Begrüssung, man stellt sich vor und sagt zum Beispiel, wie sehr man sich freut, diese Bibliothek vorstellen zu dürfen. Der Einstieg ist natürlich ein inhaltlicher, dient aber auch dem Bibliothekar dazu, sich einzustimmen

Mit dem Einstieg kann man eine geeignete und vorher wohl überlegte Einstiegsfrage verbinden. So könnte gefragt werden, wer weiss, was eine Bibliothek ist? Kleinere Kinder könnten auch gefragt werden, was ist ein Buch, was meint ihr. Die Frage wird inhaltlich gestellt, gesucht werden jedoch die Vorstellungen, Gedanken, Phantasien, die die Kinder zum Wort Bibliothek haben, es werden Bezüge gesucht und man lässt sich diese sagen, denn damit wird später weitergearbeitet.

Je nach Wissenshintergrund fallen die Antworten sehr unterschiedlich aus und werden gesammelt, d.h. jeder kann hinzufügen oder neu formulieren. Mit der Einstiegsfrage werden die Kinder zum Mitmachen animiert. Eine inhaltliche Bewertung steht im Hintergrund, ein Richtig oder Falsch wird hier noch nicht vermittelt. Was jedoch ebenso wichtig und für den Aussenstehenden nicht zu erkennen ist, ist die damit verbundene Absicht, das Vorwissen jedes einzelnen Kindes zu aktivieren. Es ist die Ressource, die es einbringt. Aus den Antworten lässt sich damit auch der Wissensstand abschätzen.

Die anspruchsvolle Vorbereitung auf die Einführung besteht darin, dass man sich einen Weg sucht, der von der Einstiegsfrage zum Thema führt­hier zur Buchausleihe.

Die Frage, wer weiss, was eine Bibliothek ist? soll über das Merkmal Buch zu Buchhandlungen, Warenhäuser oder auch Papeterien führen. Bei diesen wird sodann der Kauf des Buches als das Besondere hervorgehoben. Bibliotheken unterscheiden sich genau in diesem Punkt, Bücher kauft man sich hier nicht, sondern man leiht sie sich aus.

Der Begriff der Ausleihe kann gleichartig erarbeitet werden. Kinder kennen die Ausleihe etwa vom Fahrrad ausleihen, Bleistift ausleihen oder von der Schlittschuhausleihe und er soll als gängiger Vorgang auch der Erwachsenen vermittelt werden. Sie ist mit der persönlichen und uneingeschränkten Nutzung sowie der Rückgabe verbunden. Das wird als Vorteil gegenüber dem Kauf vermittelt, denn das Kind kann die Buchausleihe auch verlängern und es kann sozusagen im Austausch dafür andere Bücher mitnehmen.

Die Einführung erhält so den Charakter eines angeleiteten, gemeinsamen Sinnierens über Begrifflichkeiten. Jedes Kind sollte danach in der Lage sein, zu erklären, was eine Bibliothek ist. Nämlich: Eine Bibliothek ist wie eine Buchhandlung, wo man Bücher holt, aber man kauft sie nicht, sondern man leiht sie aus und bringt sie zurück, und man kann die Bücher haben, die man will.

So eine gestaltete Einführung braucht eine gewisse Zeit und darf inhaltlich nicht überladen werden. Sie bezweckt im Grunde genommen, dass die Kinder zu Buchleser werden und tatsächlich Ausleihen tätigen. In einer anschliessenden Aktivitätsphase können sie stöbern und sofern die nötigen Vorbereitungen gemacht wurden, die Bücher gleich mitnehmen.

Verführt man so die Knirpse zur Ausleihe, wäre es gewissermassen unbedacht, sie mit den Büchern sich selber zu überlassen. Hier sollte das ansetzen, was bisher theoretisch erarbeitet wurde: Leser entstehen, wenn das Lesen in einen sozialen Bezug eingebettet wird.

Wünschenswert wäre ein zweiter Baustein, in dem die wichtigsten Merkmale des Lesens im Sinne einer Leseförderung vermittelt werden. Dazu würden die Merkmale des Buches als Medium hervorgehoben und vom Fernseher abgegrenzt. Das Buch kann man nämlich im Gegensatz zum Fernseher dann lesen, wann man will, so schnell lesen, wie man will und man kann verweilen, solange man will. Diese Aspekte sind Kindern nicht aktiv bewusst, sie wissen sie jedoch zu schätzen, denn Kinder lesen grundsätzlich gerne. Gerade die Schwächsten müssen auf die Vorteile des Buchlesens hingewiesen werden.

Eine Leseförderung in einem solchen Rahmen würde das soziale Umfeld miteinbeziehen. Die Forschung verweist auf die Mutter als eigentliche Tradiererin der Lesefreude. Aber auch mögliche Geschwister bieten sich in einer Familie an.

Nun kann man natürlich ein leseunfreundliches Umfeld nicht mit einem Schlag in ein lesefreundliches umwandeln. Deshalb muss man sich fragen, welche Ressourcen vorhanden sind, die das Kind stützen könnten. Es sind in einem schwierigen Umfeld diejenigen sozialen Interaktionen des Kindes zu finden, wo das Buch als gemeinsames Drittes eine Bedeutung erhalten kann und von dem gesprochen wird. Deshalb braucht es neben Intuition auch Sachverstand über eine ganz spezielle und von Fall zu Fall sehr verschiedene soziale Realität, wie sie in bildungsfernen Schichten anzutreffen ist.

Wie könnte nun ein Weg aussehen, den Knirpsen eine Interaktion schmackhaft zu machen. Denkbar wäre zum Beispiel, dass sich die Schüler je drei Bücher aussuchen dürfen und Bücher kann man ja auch für andere aussuchen. Also lässt man Zweiergruppen bilden, in denen der eine für den anderen nach Absprache ein Buch aussucht, das dann der Beschenkte auch mitnimmt. Eine andere Möglichkeit wäre, die Kinder ein Buch aussuchen zu lassen, das sie ihren Eltern gerne zeigen möchten und­was wünschenswert wäre­in Absprache mit dem Lehrer in der nächsten Stunde schreiben lassen würde, was man an dem Buch so gut findet.

Findet sich jedoch keine Bezugsperson und beim Kind ist eine Motivation sichtbar, so wäre es denkbar, dass das Kind eine Beziehung zu einem Gspänli über das Buch aufrechterhält, indem beide sich dasselbe Buch ausleihen. Die Bibliothek müsste dafür einen eigenen Doppelbestand an geeigneten Büchern zur Verfügung haben und würde die Bücher paarweise ausleihen, so dass sich ein Kind z.B. ein Buch für sich und sein Gspänli ausleihen könnte.

Hintergrund und Absicht sind natürlich die, sich in die Beziehung der Kinder einzumischen. Sie lesen das Buch zwar für sich alleine, aber in ihren Gedanken wissen sie, dass das andere es auch tut. Den Kindern werden so nicht nur anregende und spannende Bücher vermittelt, auch die wichtigen Anschlusskommunikationen über die Buchleseerlebnisse finden eine geeignete Ausdrucksform. Die Kinder erfahren eine Wertorientierung zum Buch über eine ihnen wichtige soziale Beziehung.

Diese hier angedachte Idee müsste praktisch weiterentwickelt und erprobt werden. Ein Bedarf an gemeinsamer Lektüre ist bestimmt denkbar. Wie die Kinder jedoch so ein Angebot aufnehmen und ob die Buchleseerfahrungen tatsächlich die erwünschten Wirkungen zeigen, müsste nachgegangen werden.