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4. Gegenständliche Ausgestaltung der Bibliothek: Bildungsferne Schichten als Zielpublikum miteinschliessen

Bei allgemeinen Bibliotheken lassen sich im Bestand und in der Präsentation gleich einer Zwiebel verschiedene Schalen erkennen. Die Belletristik verweist noch auf den grossen Bestand schöngeistiger Literatur, die die Bibliotheken lange Zeit prägten. Die Sachbücher sind ein Kind des Aufbruchs der 50er-Jahre. Mit der Miniaturisierung in der Elektronik fanden auch neue Medien Eingang in die Bibliotheksbestände, vorerst die Tonbandkassette, es folgte das Videoband, die CD und die DVD. Damit konnten nun auch Sprachlehrgänge angeboten, die Sachbücher multimedial angereichert und die Belletristik mit Hörbüchern ergänzt werden.

Der Blickwinkel soll auf eine mögliche und auch umsetzbare Kundenausrichtung auf Personen aus bildungsfernen Schichten gerichtet und deren Besonderheiten dargelegt werden.

Unterschiedliche Zielgruppen haben unterschiedliche Interessen, Möglichkeiten und Fertigkeiten, Bibliotheksangebote zu nutzen. Darauf muss sich eine Bibliothek einstellen und darf aber gleichzeitig als allgemeine Bibliothek andere Nutzergruppen nicht ausschliessen.

Mit verhältnismässig wenig Aufwand ist eine Zielgruppenbezogenheit bei konkreten und gegenständlichen Ausgestaltungsmerkmalen zu erreichen. Bei Bibliotheken ergeben sich die Möglichkeiten im Erwerb und Bestand sowie in der Art der Präsentation.

 

4.1 Erwerb und Bestand

Die Befragung von Nichtnutzern gab gute Einblicke in die möglichen Interessensgebiete der Nichtnutzer. Neben der im weitesten Sinne belletristischen Literatur, wie Romane (leichte Kost), das gute Unterhaltungsbuch, Krimis, Bestellers und Kinderbücher sind Bücher aus dem Bereich geografische Bücher, Reisebücher und -karten und Sprachbücher aber auch Esoterik aufschlussreich, danach folgen geschichtliche Bücher, Naturbücher, Kunstbücher und auch Kochbücher. Beachtenswert sind auch die Präzisierungen zu den Sachbüchern, wo ein Interesse aus dem Bereich Computer, Hobby und Sport angegeben wird.

Es finden sich mehrheitlich Bezüge zu Themenkreisen aus dem alltäglichen Lebensumfeld, die gemeinhin nicht mit Bildungsinhalten konnotiert sind und einen Zugang ohne Bildungshintergrund erlauben. Für bildungsnahe Personen können diese gar als gegensätzlich zu Bildungsinhalten empfunden werden (Sport); in der Einschätzung der Nichtnutzer stellen sie aber die Bedürfnisse einer breiten Öffentlichkeit dar, zu der sie sich zählen.

Interessanterweise entsprechen die Antworten der Nichtnutzer auf die Frage, welches Nutzungsfördernde Themen einer idealen Bibliothek sind, der Bevölkerungsgruppe mit dem Merkmal Volks-, Berufsschule. Bei diesen finden sich neben Nennungen wie Sachbücher, Ratgeber und Aktuelles, Neues auch solche, die sich wesentlich von denjenigen mit höherer Schulbildung unterscheiden: Reisen, Länder, fremde Kulturen, Krimis, Erzählungen, Geschichten, Biografien, Computer, Elektronik, Technik, Wissenschaft, Esoterik, Unterhaltung, Spannendes und Hobbys: Kochen, Basteln. Das Themengebiet Wirtschaft, Politik, Recht fällt bei ihnen weit ab und wird nur an vorletzter Stelle vor Spiele genannt (während Psychologie, Pädagogik, Beziehung, Soziales eine etwas häufigere Erwähnung findet als bei Nichtnutzern).

Die Nichtnutzer sowie Personen ohne höhere Schulbildung wünschen sich in geringem Masse problematisierende, hinterfragende Romaninhalte, die eine Form von Auseinandersetzung vom Leser in den Vordergrund stellen und zum Nachdenken anregen sollen. Anscheinend steht bei ihnen eine Auseinandersetzung mit sozialen Fragestellungen nicht im Vordergrund. Es finden sich auch markant weniger Nennungen aus den Gebieten der Sozialwissenschaften.

Mit gesellschaftlichen und sozialen Fragestellungen werden diese Personengruppen nicht angesprochen. Dies deckt sich mit den bisherigen Beobachtungen, dass Diskussionen über soziale, politische und kulturelle Themen mit einem gewissen Bildungsstatus einhergehen. So entwickeln sie für Themen aus ihrem Alltagsbereich ein Interesse, von denen sie sich gefühlsmässig berühren lassen oder auch handelnd Einfluss nehmen können und ein Beteiligtsein deutliche und unmittelbare Spuren hinterlässt. Dies betrifft den grossen Bereich der Ratgeber, der leichten Unterhaltung, Esoterik, Biografien und der Hobbies, währenddem sie sich von den Bereichen fernhalten, die sie als einfache Bürger kaum beeinflussen können.

Die markant geringere Nennung sowohl bei Nichtnutzern als auch bei Volks- und Berufsschulabgängern des Themenbereichs Psychologie, Pädagogik, Beziehung, Soziales wäre in dieser Auslegung eine Absage an Bildungsinhalte, deren Denkweise ihnen fremd ist. Die Bedürfnisse nach Orientierung und Lebensbewältigung kommen bei ihnen in den Nennungen Esoterik und Ratgeber zum Ausdruck.

Aus der Perspektive der hier besprochenen Bevölkerungsgruppen ist es zweckmässig, sich den Themenbereichen hinzuwenden, die ihnen praktische Orientierungs- und Handlungsmöglichkeiten erlauben. Es sind dies die unscheinbaren Hobbies, die diese Leute in ihrem Alltag als kleine Gestaltungsinseln für sich verwirklicht haben.

Es lässt sich nicht nur in der thematischen Ausrichtung einen roten Faden erkennen, sondern auch in der Unterhaltungsorientierung, während bei bildungsnahen Personen eher eine Informationsorientierung im Vordergrund steht.

Als garantiert nutzungsauslösende Angebote werden in der Nachbefragung elektronische Unterhaltungsmedien angegeben: aktuelle DVDs, PC-Games und Softwarepakete (Adobe, Foto, Office, Buchhaltung, Routenplaner, Karten usw.). Danach folgen Bestseller und Esoterikbücher, Auftritte lokaler Prominenz und Einführungskurse für Computerbestellung und -suche sowie Schnuppertage.

Aus dem quantitativen Teil der Befragung wird dies nicht so deutlich. Die Bewertung nach einer Liste von möglichen attraktiven Angeboten einer idealen Bibliothek entspricht bei Nichtnutzern dem Befragungstotal, hingegen nennen Gelegenheitsnutzer signifikant mehr Anderssprachige, nicht deutschsprachige Angebote, CDs, Comics, CD-ROMs, Videos, Internet, Ton-Kassetten und Computerspiele.

Bereits bei der Internetnutzung bildungsferner Personen ist das Unterhaltungsmerkmal aufgefallen. Auch das Fernsehen benutzen sie vorwiegend zu unterhaltenden Zwecken. Die Fernsehinhalte selber haben inzwischen vermehrt unterhaltende Aspekte, die unter dem Sammelbegriff Infotainment zusammengefasst werden. Demnach ist die Unterhaltungsorientierung in der Mediennutzung ein weit verbreitetes Merkmal. Bei den Nichtnutzern kann deshalb das Unterhaltungsmerkmal im Sinne eines in der durchschnittlichen Bevölkerung vorhandenen Merkmals verstanden werden. Der unterhaltende Aspekt scheint sich überall mehr oder weniger zu finden.

Eine Informationsorientierung ist hingegen kaum auszumachen. Diese dürfte vielmehr geeignet sein, die Vorstellungen einer bildungsorientierten Bibliothek zu unterstützen und zu verfestigen.