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3.2 Medienkonsum

3.2.1Überblick

Lesen kann heute kaum mehr als isolierte Tätigkeit ausserhalb anderer Mediennutzung betrachtet werden. Spätestens seit Mitte der 1990erJahre wird Lesen als eine Form von Medienkompetenz betrachtet. Mit der Illettrismusforschung wird indes deutlich, dass dem Lesen die Rolle einer Schlüsselkompetenz für jegliche Mediennutzung zukommt.

Die Medien unterliegen in letzter Zeit einem grossen Wandel. Die Nutzungsmöglichkeiten haben sich für Mediennutzer vervielfacht. Es sind sowohl neue insbesondere internetbasierte Medienangebote entstanden, innerhalb einzelner Mediengruppen hat sich die Angebotsvielfalt enorm erweitert, etwa mit Hilfe von Satellitenempfang, und die Ausstattung an Mediengeräten innerhalb der Haushalte hat ebenfalls stark zugenommen, etwa durch Mehrfachbesitz von Computer und Fernseher.

Von diesen vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten profitieren in erster Linie Angehörige der Oberschicht. «Neue und teuere Technologien (z. B. neue Computer) sind in der Oberschicht wesentlich weiter verbreitet [und je] höher die soziale Schicht, desto mehr Medien sind insgesamt vorhanden [während in] Unterschichtfamilien überdurchschnittlich oft Fernsehgeräte anzutreffen [sind]. Bei Geräten der unteren Preisklasse (z.B. Gameboys oder Tamagotchis) sind die Unterschiede in der Verfügbarkeit gering».

«Die quantitative Mediennutzung [ist] erstaunlich stabil geblieben». Es zeigt sich «eine sehr hohe Gesamtnutzungszeit von zahlreichen Medien­und zwar über alle Alters- und Bevölkerungsgruppen hinweg. Die Mediennutzungsdauer liegt durchwegs bei über fünf Stunden täglich. Den Hauptteil davon nehmen Fernsehen, MusikCDs und Radio in Anspruch, während der Anteil des Lesens (Tageszeitungen, Zeitschriften, Bücher usw.) nach und nach zurückgeht».

Bei der Nutzung der verschiedenen Medien nebeneinander lässt sich kein genereller Zusammenhang im Sinne einer gegenseitigen Verdrängung feststellen, so dass die Nutzung eines Mediums auf Kosten eines anderen ginge. Nur mit einer einzigen umso gewichtigeren Ausnahme: Wer viel fernsieht, liest weniger Bücher.

«In der Oberschicht [wird] länger in Büchern gelesen und Computer oder Internet genutzt (nicht für Spiele), während in der Unterschicht die audiovisuellen Medien länger genutzt werden».

 

3.2.2 Fernsehkonsum

Die bequeme und leicht konsumierbare Form der Fernsehinhalte hat zur Formulierung der Passivitätshypothese geführt, die besagt, weil das Fernsehen ein leicht zu konsumierendes Medium darstellt, es auch bevorzugt genutzt wird.

Diese Argumentation wird «in der öffentlichen Diskussion als auch in der Literatur immer wieder aufgegriffen [Es] lässt sich in der Gesamtschau feststellen, dass kaum empirische Evidenz für sie existiert».

Die Problematik des Fernsehkonsums akzentuiert sich angesichts des geringen Anteils des Buchlesens in der Unterschicht. Der Fernsehkonsum geht jedoch da mit anderen Merkmalen einher. Lässt man nämlich Schicht und Bildung beiseite, so ergibt sich bei Kindern «eine Vorliebe für das Fernsehen eher bei einer passiven, rigiden und autoritativen Familienstruktur», während «sich Präferenzen für das Lesen eher auf dem Hintergrund aktiver, offener und liberaler Interaktionsstrukturen ergeben».

Die Suche nach den Gründen für den hohen Fernsehkonsum in tiefen sozialen Schichten dürfte demnach auch mit den materiell eingeschränkten Möglichkeiten dieser Bevölkerungsgruppe einhergehen. Sie erschweren ein generell grosszügiges und wohlwollendes Verhalten gegenüber Konsumwünschen und fördern eher strengere Erziehungsnormen und unnachgiebige Verhaltensmuster.

 

 

3.2.3 Computer- und Internetnutzung

3.2.3.1 Voraussetzungen

Noch vor wenigen Jahren neigte man in der sozialwissenschaftlichen Forschung dazu, den geringen Anteil Internetnutzer mit tiefem Sozialstatus auf ökonomische Faktoren zurückzuführen. In der Zwischenzeit hat sich diese Sichtweise verändert. Die finanzielle Belastung ist zwar nach wie vor vorhanden, sie wird jedoch nicht mehr so betont. «Die Forschenden stellen zudem fest, dass zwar der Zugang zu diesen Technologien manchmal ein Problem darstellt, besonders wegen ihrer Kosten. Die wichtigste Voraussetzung für die Integration in die Informationsgesellschaft sind jedoch die Kompetenzen, die es ermöglichen, mit den Informationstechnologien umzugehen und ihre Ressourcen auszuschöpfen. Infrastrukturen sind wichtig, fehlt aber das unverzichtbare Know-how wie die Lese- und Schreibkompetenz, so können sie nicht genutzt werden».

Der Umgang mit einem Computer erfordert ein spezifisches Vorwissen. In einer Unmenge von Informationen müssen diejenigen gefunden werden, die es ermöglichen, einen kontinuierlichen Computerbetrieb sicherzustellen und etwa einen Internetzugang aufrechtzuerhalten. Leute mit schwachem Bildungshintergrund und ineffizienter Such- und Verarbeitungsstrategie werden dadurch schnell überfordert sein.

 

3.2.3.2 Quantitative Aspekte

Die Computer- und Internetnutzung ist bei höherer sozialer Schicht viel häufiger anzutreffen, als bei tiefer sozialer Schicht. Jugendliche aus der Oberschicht haben zu63% einen Computer mit CDROM, während es bei der Unterschicht28% sind. Von der Bevölkerungsgruppe mit kleineren Einkommen finden sich nur12% Internetnutzer während bei hohen Einkommen es56% sind. Personen mit obligatorischer Schulbildung sind zu19% mehrmals im Monat online, während es bei Maturanden und Universitätsabgänger69% sind. Der entscheidendste Faktor für den Internetzugang wird demnach vor allem im Bildungsstatus noch vor dem Einkommen gesehen.

Eine Benachteiligung erfahren bildungsferne Personen auch dadurch, dass an ihrem Arbeitsplatz in der Regel kein Internetzugang vorhanden ist. Deshalb ist die untere Bildungsschicht generell vermehrt auf öffentliche Internetzugänge angewiesen, etwa schulische und universitäre Netzzugänge, wo immerhin «jeder Dritte auf diesem Weg ins Netz findet.
Auch die Internetnutzung bei Freunden und Bekannten scheint für diese Gruppe ein probates Mittel, um in die Netzwelt einzutauchen».

 

3.2.3.3 Einstellung und Unterhaltungsorientierung

Noch deutlicher werden die Unterschiede, wenn man die quantitativen Angaben mit qualitativen Aspekten ergänzt.43% der weniger gut Ausgebildeten schätzen sich eher als ComputerAnfänger ein, hingegen bezeichnen sich85% der gut Ausgebildeten zumindest als fortgeschrittene oder gar als ehrgeizige ComputerBenutzer.

Zu den hier aufgeführten Merkmalen und der generellen ungünstigen Voraussetzungen wie Bildung, Vorwissen, sozialem Umfeld und Einkommen findet sich bei bildungsfernen Personen ein weiteres und sehr wichtiges Merkmal, das in Zügen auch bei der Nichtnutzerumfrage erkennbar war und als Haltung erkennbar ist. Ihre verhältnismässig tiefe Lesefähigkeit und­wie sie sich selbst einschätzen­ihre Internetanfängerkenntnisse gebrauchen sie nicht um Informationen welcherart auch immer zu suchen, sondern sie nutzen das Internet vor allem mit einer unterhaltungsorientierten Einstellung. Bildungsferne Personen, die verhältnismässig viel vom Informationsangebot im Internet profitieren könnten, nehmen diese Gelegenheit kaum wahr.

Das Internet wird in der Schweiz von besser ausgebildeten Personen aktiver und informationsorientiert benutzt, während weniger gut ausgebildete Personen anscheinend an den Unterhaltungsfunktionen des Internets interessiert sind.

Zumindest in der Schweiz sind diese Unterschiede signifikant. Personen mit höherer Bildung nutzen das Internet für informations- und dienstleistungsorientierte Verwendungszwecke. Personen mit niedrigerer Bildung benutzen das Internet signifikant mehr für Unterhaltungszwecke.

«Während Information als Nutzungszweck für drei Viertel der Bildungsgruppe mit hoher Bildung von Bedeutung ist, trifft dies nur auf zwei Drittel der mittleren Bildungsgruppe und nicht einmal für die Hälfte derjenigen mit obligatorischem Schulabschluss zu. Das Bild kehrt sich bei der unterhaltungsorientierten Nutzung der Bildungsgruppen ins Gegenteil, wenngleich die Unterschiede hier nicht so deutlich ausfallen».

Die Unterhaltungsorientierung bildungsferner Personen zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche Mediennutzungen, nicht nur bei der Internetnutzung, auch bei den PrintMedien, also Bücher, wie dies weiter unten ausgeführt wird.

Der Aspekt der Unterhaltung ist auch an den Wünschen Jugendlicher ersichtlich. 73% aller befragten Schüler, die keine Bibliotheksnutzer sind, wünschen sich eine grössere Auswahl an Videos/DVDs(58%), 67% eine grössere Auswahl an MusikCDs(67%), 54% eine grössere Auswahl an CDROMs(47%), und 50% wünschen sich mehr Internetstationen(40%) in Bibliotheken.

Das hier zusehends sich abzeichnende Bild von bildungsfernen Personen als unbedarfte Internetnutzer könnte womöglich gar nicht so unzutreffend sein. Es kann nämlich vermutet werden, dass bildungsschwache Personen die spezifische Bedeutung des Internets gar nicht richtig zu erfassen wissen und somit auch für sich selber verkennen. Die zwei Aussagen das Internet ist ein wichtiges Medium, dessen Nutzung man sich nicht entgehen lassen soll, und ich bin fasziniert vom Internet und anderen neuartigen Medien unterscheiden Personen mit tiefem Bildungshintergrund nicht. Dies wäre ein Hinweis darauf, dass sie nicht wirklich das Neue am Internet erkennen. So würden dann bildungsferne Personen, das Internet unspezifisch und in Anlehnung an andere Mediennutzungen im unterhaltenden Sinne konsumieren, ohne dass sie die Bedeutung für sich erkennen würden und für sie wirklich nützlich wäre.

 

3.2.3.4 Exkurs: Digital Divide

Was man im herkömmlichen Sinne als Digital Divide bezeichnet und als ein Gefälle in der Internetzugänglichkeit zwischen entwickelten und unterentwickelten Ländern beschreibt, trifft man auch innerhalb entwickelter Länder wie der Schweiz. Es erscheint als ein eigentlicher Bildungsgraben zwischen unterer und oberer Bildungsschicht, der zu einer ungleichen Wissensverteilung in der Bevölkerung führt. «Die so genannte WissenskluftForschung konnte aufzeigen, dass mehr Medieninformationen in der Regel nicht zu mehr Wissen für alle führen, sondern dass Personen mit höherem sozioökonomischem Status und höherer formaler Bildung sich diese zusätzlichen Wissensangebote rascher als die Übrigen aneignen. Konsequenz ist, dass die Wissenskluft nicht ab-, sondern zunimmt. Besondere Bedeutung hat dabei eine gut entwickelte Lesekompetenz. In der Folge wurde die These zur KommunikationseffekteKluftHypothese weiterentwickelt. Die Tragweite ist zwar umstritten, der Kerngehalt­die differentielle Wissensverteilung im Gefolge von Mediennutzung­wird jedoch kaum mehr in Frage gestellt».

Unterschiedliche Wissensstände werden in der WissenskluftForschung auf soziale Hintergründe zurückgeführt, die für eine Wissensaneignung höchst relevant sind und sich etwa folgendermassen zusammenfassen lassen:

- Das generell grössere Vorwissen erlaubt bildungsnahen Personen, über einen weiten Bereich Neues zu erkennen und aufzunehmen.

- Die soziale Einbettung besser gebildeter Personen führt zu einer wesentlichen und kaum hoch genug einzuschätzende zusätzlicher interpersonellen Ressource, die wesentlich zu den Unterschieden beiträgt.

- Bildungsnahe Personen sind generell geübter im Umgang mit Kommunikationsinhalten und deren Interpretationen.

- Bildungsnahe Personen informieren sich eher mittels PrintMedien, bildungsferne sind eher Fernsehkonsumenten und deshalb mit den verschiedenen Möglichkeiten, Informationen zu suchen, weniger vertraut.

- Für bildungsnahe Personen ist es selbstverständlich, dass die Bürgerrechte vor dem Hintergrund eines Informiertseins ausgeübt werden.

Aus diesen Gründen sind bildungsnahe Personen in der Wahrnehmung, Verarbeitung und Erinnern von komplexen Zusammenhängen auch geübter.

Der letzte Punkt wird im Zusammenhang des an politischen Geschäften interessierten Bürgers deutlicher, indem die Buchleseforschung darauf hinweist, «dass Personen, die häufig an die Urnen gehen, im Durchschnitt deutlich mehr Bücher lesen».

 

3.2.3.5 Fazit

Leicht vermittelte Slogans wie Internet für alle garantieren keine informierte Öffentlichkeit, wie das vielleicht beabsichtigt wird. Neben den Zugangshindernissen zeigt es sich, dass bei bildungsfernen Personen, das Internet offenbar nur für Unterhaltungszwecke verwendet wird, je besser ausgebildet der Internetnutzer ist, desto mehr wird das Internet für die eigenen Bedürfnisse instrumentalisiert.

Es zeigt sich ein einheitliches Bild, in dem vor allem besser ausgebildete Personen grosse Vorteile von den Informationsinhalten für sich zu gewinnen wissen. Während in der Öffentlichkeit nach wie vor das Bild einer für alle gleich gut zu erreichenden Internetnutzung vermittelt wird, werden die unterschiedlichen Voraussetzungen kaum thematisiert. Bildungsferne Personen haben nach wie vor keinen sicheren und regelmässigen Internetzugang. Allgemeine Bibliotheken könnten auch hier mit einem ausdrücklichen Hinweis der Möglichkeiten einer EmailAbfrage, Suche nach Ab und Abfahrtszeiten öffentlicher Verkehrsmittel u.a. eine Nähe zur Durchschnittsbevölkerung zu erkennen geben.